Geflügelpest-Vogelgrippe

11 Januar 2007

Aktualisierung 2.1.07

Geflügelpest – Rolle der Zugvögel


Zu dem Thema hatte ich mich mit drei Briefen vom 27.2.06, 6.3.06 und 15.3.06 zu Wort ge­meldet, und die Gedanken zusammenfassend im Mai 2006 in den „ZGAP Mitteilungen“[1] und umfassender im Juli 2006 in den „Berichten zum Vogelschutz“[2] veröffentlicht. Dem ist auch jetzt fachlich nichts grundlegend Anderes hinzuzufügen.

Zahlreiche Anfragen und die jüngste Risikobewertung der zuständigen oberen Bundesbe­hörde (Friedrich-Löffler-Institut, FLI)[3] veranlassen mich, noch einmal Stellung zu beziehen. Spätestens seit dem Umgang mit dem im Zoo Dresden an Geflügelpest gestorbenen Trauer­schwan, als für die Infektion dieses Zoovogels heimische Wildvögel verantwortlich gemacht wurden, stellt sich mir die Frage nach den Motiven für die Wildvogelbeschuldigungen. Daher füge ich den fachlichen noch weitere Gedanken an.

Fachlicher Aspekt

Es ist in der Zwischenzeit deutlich geworden, dass Zugvögel – oder Wildvögel allgemein – als Vektor der Geflügelpest weltweit keine relevante Rolle spielen. Natürlich können Wild­vögel, wenn sie irgendwo infiziert wurden, noch eine gewisse Strecke fliegen, doch sterben sie in der Regel innerhalb weniger Tage und mit ihnen verschwindet das Virus aus dem Freiland. Dieses haben wir auch in Deutschland im Frühjahr erlebt, als eine weiträumige Streuung von H5N1-Opfern auftrat. Infektionen weiterer Vögel im Freiland sind offensichtlich sehr selten, und längere Infektionsketten weltweit nicht nachweisbar. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass Neuinfektionen auf die Produktions- und Handelsbereiche des Geflügels oder der Geflügelprodukte zurückzuführen sind.

Es ist bezeichnend, dass das Virus global dort auftrat und auftritt, wo Handelswege es hin­führten, und nicht dorthin, wo die Zugvögel hinflogen. Die weiten Bereiche des asiatisch-europäischen Vogelzuges blieben 2005 und 2006 von der Seuche verschont, auch die Hauptüberwinterungsgebiete der asiatischen Wasservögel waren virenfrei. Stattdessen trat H5N1 wenn, dann in den Geflügelhaltungen auf, aktuell nach 3 Jahren auch wieder in Süd­korea[4]. Eine im Herbst publizierte Veröffentlichung[5] versucht zwar, die Westausbreitung der „Asia-Variante“ von H5N1 im Sommer 2005 mit Zugvogelbewegungen zu erklären, verwen­det aber keine ornithologischen Daten, sondern bemüht sich, den Zusammenhang von Vi­renausbreitung und Vogelzug über Interpretationen von Klimakarten herzuleiten. Dies führt zu fachlich nicht haltbaren Ergebnissen. Die Arbeit interpretiert nicht nur die Klimakarten ver­kehrt, sondern lässt u.a. außer Acht, dass in den Durchzugsgebieten der zentralasiatischen und westsibirischen Vögel keine Geflügelpest im Freiland auftrat. Gerade die Westausbrei­tung 2005 ± quer zur Hauptvogelzugrichtung und zeitlich losgelöst vom Vogelzug war ja ein ganz deutlicher Hinweis auf die Handelswege. Weitere Mängel dieser Arbeit listet Peter­mann[6] auf.

Darüber hinaus hat man trotz großer Anstrengungen (allein in Europa 10.000de von Proben seit dem Frühjahr; weltweit insgesamt über 200.000) immer noch keine Wildvogelart gefun­den, in deren Population das Virus „zirkuliert“. Es ist somit kein Vektor von hoch pathogenem Vogelgrippevirus unter den Wildvögeln bekannt. Allein damit hätte sich die Wildvogelthese bereits erledigt. Und selbst wenn behauptet wird, dass dies an unzureichender Beprobung liegt – angesichts der hohen Probenzahl eine recht hilflos wirkende Behauptung – so wäre damit auch nicht die derzeitige Abwesenheit im Freiland zu erklären. Denn selbst wenn das Virus in einer Wildvogelpopulation vorhanden wäre ohne diese zu schädigen, so müssten ständig Übertragungen auch an andere Vögel stattfinden, und es müssten immer wieder Masseninfektionen sowie zeitliche und räumliche Infektionsketten auftreten. Tatsächlich gibt es seit dem Frühjahr 2006 gibt es keinen Fall eines betroffenen Wildvogels in Europa, mit Ausnahme eines jungen Haubentauchers im Baskenland (Spanien). Dieser wurde im Juli 2006 gemeldet, war aber nach Meldung von BirdLife offenbar schon seit Mai tot, die Fund­umstände sind nicht bekannt geworden[7]. Ob hier ein Zusammenhang mit infizierten Wild­vögeln oder z.B. mit Geflügelprodukten besteht, ist völlig unklar; in Spanien waren im Feb­ruar 2006 21 Tonnen geschmuggeltes Geflügelfleisch aus China entdeckt worden. Einmal mehr zeigt sich hier die Unbrauchbarkeit der offiziellen Statistiken, die einen Fund mit dem Datum der Laborfeststellung angeben, nicht mit dem Datum des Fundes im Freiland.

Die fachlichen Feststellungen und Einschätzungen aus ornithologischer Sicht decken sich mit aktuellen evolutionsbiologischen Überlegungen zur Ökologie von Vogelgrippeviren: We­der ist es wahrscheinlich, dass hoch pathogene Vogelgrippeviren in Wildvogelbeständen entstehen, noch dass Wildvögel eine wesentliche Rolle bei der Verbreitung spielen können[8].

Für das Auftreten auf Rügen oder in Süddeutschland ist mir keine völlig plausible Erklärung bekannt geworden. Hinweise auf mögliche Freisetzungen durch das FLI selbst sind bei­spielsweise nicht überprüfbar, unabhängige Kontrollen fanden offenbar gar nicht statt. Ein­flüge von Wildvögeln aus Gebieten mit bereits vorhandenem Geflügelpestauftreten (vor al­lem SE-Europa) nach Rügen in der 2. Januar- oder 1. Februarhälfte sind ebenfalls nicht be­kannt geworden, und zu dieser Jahreszeit auch nicht sehr wahrscheinlich. Die süddeutschen Fälle könnten theoretisch Streufunde sein, die auf Virusausträge in Ost-Frankreich (Puten­farm in Les Dombes) oder dem pannonischen Becken (Ungarn, Kroatien, Rumänien) zu­rückzuführen sind. Bei Les Dombes wären Jahreszeit und Zugrichtung von Wildvögeln pas­send (Heimzug Richtung Nordost). Aus der ungarischen Tiefebene führt die Donau als po­tenzielle Leitlinie für Wasservögel nach Süddeutschland, doch ist hier die Zugrichtung (Nord bis Westnordwest) für mittwinterliche Flugbewegungen bei Dauerfrost nicht sehr nahe lie­gend, ein Ausweichen dieser Vögel zum Mittelmeer wäre wohl wahrscheinlicher. Zudem ist anzuzweifeln, dass an Geflügelpest erkrankte Wildvögel noch sehr weite Strecken fliegen können. Alternative Virentransporte durch den Handel (LKW aus der Türkei oder Rumänien, illegale Geflügelimporte usw.) konnten ebenfalls nicht plausibel gemacht werden, wurden aber offenkundig auch nicht intensiv untersucht. Somit muss man leider feststellen, dass wir die Ursachen für das Freilandauftreten in Deutschland nicht kennen.

Profiteure der Wildvogelbeschuldigungen

Ich habe mich im Laufe der vergangenen Monate zunehmend gefragt, wer von der These profitiert, dass Wildvögel das Virus verbreiten. Es war sehr auffällig, wie die durch nichts be­legte Rolle der Wildvögel immer wieder in den Vordergrund gerückt wurde. Zu den Profiteu­ren gehören z.B.:

  • Geflügelindustrie – Der Verweis auf Wildvögel lenkt von der möglichen eigenen Verant­wortung an der Verbreitung des Virus ab. Gleichzeitig wird die Konkurrenz der Freilandhaltung zurückgedrängt.
  • Pharmaindustrie – Die allgemeine Panik vor der Vogelgrippe hat die Umsätze von Grip­peschutzmitteln stark steigen lassen. Dies betrifft sowohl Impfstoffe für das Ge­flügel, als auch „Vorbeugungsmittel“ gegen eine „Pandemie“, wie z.B. Tamiflu.
  • Forschungseinrichtungen – Mit dem Hinweis auf unbekannte Gefahren sind auch in Deutschland Forschungsmittel verteilt worden. Unter anderem wurden dem FLI im August 150 Mio. € für den Ausbau des Institutes bewilligt. Dies wird in der Presse­mitteilung des FLI vom 8.8.06 wie folgt begründet: „Die Investition … ist auch ein Zei­chen dafür, wie wichtig Tierseuchenforschung auch heute noch ist. BSE und Geflü­gelpest haben das ja gerade in letzter Zeit nachdrücklich deutlich gemacht.“

Insbesondere auch die Welternährungsorganisation (FAO) und in ihrem Gefolge Weltge­sundheitsorganisation (WHO) und Welttierseuchenorganisation (OIE) waren massive Befür­worter der Zugvogelthese. Dies mag zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass auch in die­sen Einrichtungen ökologischer und ornithologischer Sachverstand offenbar nicht ausrei­chend vorhanden ist. Um die Motive allerdings vollständiger zu verstehen, müsste man sich intensiv mit weltweitem Lobbyismus vor allem von Pharma- und Geflügelindustrie beschäfti­gen. Gleichwohl relativieren diese Einrichtungen seit dem Herbst die Rolle der Wildvögel.

Diese Schlaglichter zeigen, dass es um viel Geld, um Macht und Einfluss, und in einigen Fällen mittlerweile vermutlich auch um Gesichtswahrung geht. Damit haben wir die fachlich-naturwissenschaftliche Ebene längst verlassen.

Zur bisherigen Rolle des FLI

Seit dem zeitlich völlig isolierten Auftreten von H5N1 bei einem gehaltenen Zoovogel im Sommer 2006, dem Trauerschwan im Zoo Dresden, fällt es mir sehr schwer, Veröffentli­chungen dieses Instituts noch in Gänze glauben zu können. Denn das FLI hat den Fall als Nachweis dafür gewertet, „dass das hochpathogene H5N1 Virus noch in der Wildvogelpo­pulation im Land ist und sich wieder ausbreiten kann“ (Pressemitteilung vom 7.9.06). Man kann sich kaum ausmalen, wie viele mögliche Wege das Virus in einen zoologischen Garten genommen haben kann, von Tierimporten über Futtermittel bis hin zu Besuchern. Im Frei­land war das Virus ja bereits seit über zwei Monaten verschwunden.

In der Statistik des FLI wird der Trauerschwan als „Wildvogel“ geführt, und in der eingangs erwähnten Risikobewertung vom 1.12.06 schrieb das FLI: „Jedoch zeigen Nachweise von HPAI H5N1 bei Wildvögeln in Spanien und Deutschland die fortwährende Präsenz des Erre­gers in der Wildvogelpopulation an.“ Bei diesen beiden „Wildvögeln“ handelt es sich wie ge­sagt um den jungen Haubentaucher in Spanien und den Zoovogel aus Dresden.

Abgesehen von dieser fachlich fragwürdigen Aussage haben das FLI und die anderen zu­ständigen Einrichtungen in Deutschland nicht viel dazu beigetragen, aus dem Auftreten von H5N1 bei Wildvögeln tatsächliche Erkenntnisse zu gewinnen. Dies beginnt mit der lücken­haften bis fehlerhaften Bestimmung der tot aufgefundenen und positiv getesteten Wildvögel (Art, Geschlecht, Altersstufe, möglichst Herkunft). Es setzt sich fort mit der Frage, wie viele dieser Vögel denn ursächlich an dem Virus gestorben sind. Weiterhin fehlt grundsätzlich die Analyse der Fundumstände, die aber für die Bewertung der Situation unumgänglich ist. Ohne derartige ornithologische und ökologische Feststellungen im Freiland ist die epidemiologi­sche Situation überhaupt nicht zu analysieren. Da ist es nur konsequent, den ökologischen Unverstand damit zu dokumentieren, dass man Zoovögel als „Wildvögel“ in die Statistik ein­gehen lässt. Es hat im Februar sicherlich eine Situation der Überforderung gegeben (ob­schon das FLI selbst rechtzeitig vor dem Auftreten des Virus im Freiland gewarnt hatte), aber danach hätte das Vorgehen strukturiert werden müssen. So sind offenbar viele für die Ana­lyse des Auftretens im Freiland wertlose Labordaten entstanden.

Darüber hinaus sind nach wie vor Fragen der Übertragungswege, der artspezifischen Emp­fänglichkeit und der artspezifischen Empfindlichkeit von Wildvögeln weitgehend ungeklärt, um nur einige Aspekte zu nennen.

Was ist bei künftigem Auftreten der Geflügelpest zu tun?

Wenn man sich von der äußerst unwahrscheinlichen Annahme frei macht, dass Wildvogel­populationen das Virus in sich tragen, dann sind andere Handlungsoptionen sehr nahelie­gend. Denn die Kernfrage ist: Auf welche Weise ist das Virus an den jeweiligen Ort gelangt? Dies gilt sowohl für Wildvogelbestände, als auch Hausgeflügel und sonstige gehaltenen Vö­gel, auch in Zoos.

Im Freiland wäre sofort zu klären, welche Vogelarten betroffen sind (inklusive Geschlecht, Alter, möglichst Herkunft). Selbstverständlich sollte der sonstige Zustand der Tiere unter­sucht und die Befunde pathologisch abgesichert werden. Die Fundumstände sind genau zu dokumentieren. Nach Möglichkeit sind Individuen der gleichen Art und nahrungsökologisch ähnlicher Arten in der direkten Umgebung ebenfalls zu beproben. Denn es ist in vielen Fällen davon auszugehen, dass sich die Vögel über die Nahrung infiziert haben. Hierzu sollten die effizientesten Fangmethoden verwendet werden.

Je nach Situation, wenn z.B. Streufunde von bekannten Infektionsherden unwahrscheinlich sind, können auch illegale Handlungen vorliegen. Inzwischen wissen wir aus zahlreichen anderen Skandalen wie BSE und Gammelfleisch, dass für Gewinnerzielung auch illegal ge­handelt und zur Strafvermeidung vertuscht wird. Bei Vorliegen eines Anfangsverdachtes, wie z.B. eines an Geflügelpest erkrankten Vogels, sollte daher möglichst unverzüglich mit krimi­nalistischen Methoden vorgegangen werden. Einfache Befragungen wie offenbar bisher er­folgt sind nicht ausreichend, um beispielsweise illegale Vogelimporte, Bezüge von Futter­mitteln oder Impfstoffen aus dubiosen Quellen oder aber die Entsorgung von gestorbenem Geflügel zu ermitteln.

Geflügelpest und Artenschutz

Die Ereignisse haben gezeigt, dass es vordringlich wichtig ist, Wildvogelpopulationen vor Austrägen von Krankheitserregern aus der Geflügelhaltung zu schützen. Insbesondere Was­servögel, die sich aus ökologischen Gründen an Gewässern konzentrieren, sind potenziell höchst gefährdet. Diese Situation verschärft sich weltweit immer mehr, je stärker die verblie­benen Feuchtgebiete durch Menschen zerstört oder beeinflusst werden (Eindeichung, Tro­ckenlegung, Eutrophierung, Einleitung von Schadstoffen, Verschmutzung, Freizeitnutzung, Jagd usw.). Bei vielen Wasservogelarten gibt es heutzutage große Konzentrationen, vor al­lem zu den Zugzeiten und während der Überwinterung. Was würde beispielsweise aktuell in Südkorea passieren, wenn Virusausträge aus der Geflügelhaltung in das Hauptüberwinte­rungsgebiet der Gluckente erfolgen? Fast der gesamte Weltbestand befindet sich über meh­rere Monate in diesem Gebiet; die Gesamtpopulation dieser Vogelart könnte betroffen sein. Vor diesen Hintergründen kann Geflügelpest oder eine andere Haustierseuche künftig noch mehr zu einem Problem des Natur- und Artenschutzes werden.

Anmerkung

Ich möchte nicht ausschließen, dass es noch andere Erklärungen für das Auftreten der Ge­flügelpest bei uns gibt, zu lückenhaft ist der derzeitige Wissensstand. So weisen einzelne Publikationen darauf hin, dass es sich bei H5N1 um ein völlig aufgebauschtes Problem han­deln könnte[9]. Und tatsächlich hat es ja auf Rügen trotz der Kälte im Januar bis März 2006 kein Massensterben gegeben: Unter den über 106.000 anwesenden Wasservögeln gab es eine normale Wintersterblichkeit, und 158 von den tot gefundenen Vögeln wurden positiv auf H5N1 getestet.

Andere Überlegungen schließen die Verwendung von nicht gänzlich inaktivierten Impfstoffen ein, die z.B. über das Internet aus China angeboten wurden. Sie könnten zum spontanen Auftreten der Geflügelpest in verschiedenen Betrieben geführt haben. Auch können Impfun­gen künftig zu einer stärkeren Verbreitung der Seuche führen, da befallene Geflügelbe­stände nicht mehr auffallen; das Virus zirkuliert unerkannt unter dem Schirm des geimpften Geflügelbestandes. Dies hat möglicherweise in China in den letzten beiden Jahren bereits stattgefunden.

Es ist zu befürchten, dass uns die Thematik noch einige Zeit beschäftigen wird. Aber es ist zu hoffen, dass es künftig einen Erkenntniszuwachs gibt, wenn sich die Verantwortlichen den wahrscheinlichen Übertragungswegen zuwenden.

Klemens Steiof, Potsdam, 2.1.2007



[1] Steiof (2006): Sind Zugvögel Überträger und Verbreiter der Geflügelpest? ZGAP Mitteilungen Jg. 22, Heft 1/2006: 21-23; publ. Mai 2006.

[2] Steiof (2005): Wird die Geflügelpest durch Zugvögel übertragen? Berichte zum Vogelschutz Nr. 42: 15-32; publ. Juli 2006. (Kann auf Wunsch als pdf-Datei zugesandt werden.)

[3] FLI (2006): Bewertung des Risikos zur Einschleppung von hochpathogenem aviären Influenzavirus H5N1 in Hausgeflügelbestände in Deutschland, Stand 1.12.06. Internetmitteilung.

[4] Eine detaillierte Beschreibung findet sich unter www.birdskorea.org.

[5] Gilbert, M., X. Xiao, J. Domenech, J. Lubroth, V. Martin & J. Slingenbergh (2006): Anatidae Migration in the Western Palearctic and Spread of Highly Pathogenic Avian Influenza H5N1 Virus. Emerging Infectious Diseases Vol. 12, No. 11: 1650-1656.

[6] Petermann, P. (in Vorber.): Misunderstood waterbird ecology and the spread of Avian Influenza – a correction of Gilbert et al.

[7] www.birdlife.org/news/news/2006/07/grebe.html

[8] Muzaffar, S. B., R. C. Ydenberg & I. L. Jones (2006): Avian Influenza: An Ecological and Evolutionary Perspective for Waterbird Scientists. – Waterbirds 29 (3): 243-257. (Kann auf Wunsch als pdf-Datei zugesandt warden.)

[9] z.B. Buch „Virus-Wahn“ von T. Engelbrecht & C. Köhnlein oder DVD „H5N1 antwortet nicht“ von M. Leitner & T.A. Hein, herausgegeben von Neue Impulse e.V. (www.neue-impulse-treff.de)

02 Mai 2006

Sehr geehrte Leser


seit dem Auftreten der Geflügelpest (hochpathogene Vogelgrippe, HPAI) in Deutschland besteht eine allgemeine Verunsicherung gegenüber Wildvögeln. Verbreiten Zugvögel die Geflügelpest? Diese Frage ist ganz entscheidend.

Dazu gibt es zwei Positionen:

- Wären Wildvögel (bzw. Zugvögel) kein Reservoir, dann hieße das, dass dem Auftreten im Freiland (wie z.B. auf Rügen und in Süddeutschland) vom Menschen verursachte Austräge des Virus aus dem Bereich der Geflügelhaltung vorausgehen müssen. Denn dort ist HPAI „zu Hause“. Es hieße aber auch, dass sich Maßnahmen gegen den möglichen Eintrag durch Wildvögel (z.B. auch Einstallungen von Hausgeflügel) auf einen kürzeren Zeitraum beschränken können. Denn im Freiland ist das Virus nicht sehr lange überlebensfähig. Da die Inkubationszeit nur wenige Tage beträgt, stirbt ein infizierter Vogel rasch oder entwickelt ausreichend Antikörper und wird wieder gesund. In beiden Fällen verschwindet das Virus aus der Wildvogelpopulation.

- Wären Wildvögel hingegen doch ein Reservoir für HPAI, dann könnte die Geflügelpest immer wieder im Freiland auftreten, und wir müssten tatsächlich über langfristige Strategien gegen mögliche Einträge durch Wildvögel in den Bereich der Geflügelhaltung nachdenken. Es bliebe uns die Geflügelpest in Mitteleuropa vielleicht sogar für Jahre erhalten.

Im Januar/Februar 2006 habe ich auf einer ornithologischen Reise Süd-Korea und Hongkong besucht. In Ostasien kursiert das derzeitig für die Geflügelpestausbrüche verantwortliche H5N1-Virus seit 10 Jahren. Entsprechende Erfahrungen mit der Seuche liegen dort vor. Ich habe nach Gesprächen mit dortigen Ornithologen die Auffassung gewonnen, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass Wildvögel ein Reservoir für die Geflügelpest sein können. Zurück in Deutschland wurde ich mit der gegenteiligen Auffassung konfrontiert, die sich auch das behördlich zuständige Friedrich-Löffler-Institut zu Eigen gemacht hat. Die Politik handelt überwiegend entsprechend, und noch nach dem Seuchenausbruch in dem sächsischen Geflügelbetrieb wies Herr Seehofer als Verursacher auf Wildvögel hin.

Ich hatte mich mit drei über das Internet verbreiteten Schreiben an der Diskussion beteiligt. In diesen Schreiben hab ich auf die geringe Wahrscheinlichkeit der Übertragung durch Wildvögel hingewiesen und mögliche Alternativen aufgezeigt. Auf vielfache Anfragen hin habe ich sie an diese Seite angehängt. Diese Schreiben beinhalten vielfältige Informationen und Anregungen zum Thema, auch Hinweise auf Literatur und andere Internetseiten. Ich habe die Schreiben der Authentizität willen unverändert gelassen.

Zusammengefasst sind es folgende Gründe, die eine Beteiligung von Zugvögeln an der Ausbreitung von HPAI so unwahrscheinlich werden lassen:

1. Die sprunghafte Ausbreitung innerhalb Asiens nach Westen und von Asien nach Europa folgt den Handelswegen und nicht irgendwelchen Vogelzuglinien, zumal viele Sprünge außerhalb der Vogelzugzeiten (und von Geflügelhaltung zu Geflügelhaltung) stattgefunden haben. Auch nach Deutschland gibt es keine Korrelationen zum Vogelzug. Gegenteilige Interpretationen von WHO und FLI sind reine Spekulationen, die nicht durch ornithologische Befunde gedeckt sind.

2. Die meisten sterbenden Vögel verenden an Ort und Stelle (der mutmaßlichen Infektion) bzw. fliegen noch maximal ein paar 100 km. Nicht erkrankende, aber infizierte Vögel, können das Virus für ein paar Tage ausscheiden. Dann müsste aber bald eine Neuinfektion erfolgen, wenn die Seuche wieder ausbrechen sollte. Dies ist im Freiland nicht oder kaum erfolgt. Vielmehr verschwindet die Seuche im Freiland recht schnell wieder.

3. Bei den Ausbrüchen im Freiland gibt es keine Ausbreitungsfächer der Seuche. Dies wäre aber zu erwarten, wenn Zugvögel das Virus transportieren.

4. Bisher ist keine Zugvogelart bekannt, die das Virus ohne Erkrankung über einen längeren Zeitraum transportieren kann. Entweder stirbt der Vogel oder er überlebt, in beiden Fällen ist das Virus nach ein paar Tagen verschwunden.

5. Das Virus kann sich im Freiland außerhalb des Wirtes nicht sehr lange halten (bei höheren Temperaturen nur wenige Tage, bei Kälte ein paar Wochen).

6. Weltweit werden praktisch keine gesunden Vögel mit HPAI gefunden werden (bei mittlerweile weit über 100.000 beprobten Wildvögeln nur 6 Enten am Poyang-See in Südostchina, von denen man annehmen kann, dass sie sich kurz zuvor infiziert hatten).

7. In den Ländern mit Millionen aus Asien einwandernder Zugvögel im letzten Winter sind praktisch keine Ausbrüche im Freiland festgestellt worden. Wenn aber Zugvögel an der Westausbreitung (quer zu ihrer Hauptzugrichtung) beteiligt sein sollten, hätte es zu Hunderten von Seuchenausbrüchen in den asiatischen Überwinterungsgebieten kommen müssen - da, wo sie tatsächlich hinziehen.

8. Die Geflügelpest macht vor Ländergrenzen halt (z.B. Japan, Süd-Korea, Malaysia, Phillippinen, Australien). Ausschlaggebend sind somit Einfuhrkontrollen und der Umgang mit den Geflügelhaltungen in den einzelnen Staaten, nicht aber Zugvögel, die Staatsgrenzen normalerweise ignorieren.

9. Wildvögel unterliegen der natürlichen Selektion, so dass von HPAI betroffene Individuen keine größeren Überlebenschancen haben.

Eine zusammenfassende Darstellung des Themas für die „Berichte zum Vogelschutz“ (Herausgeber: Deutscher Rat für Vogelschutz) ist in Vorbereitung.


Ganz kurz zu meiner Person: Ich bin Landschaftsplaner, arbeite in einer Naturschutzbehörde im Bereich Artenschutz und lebe in Potsdam. Seit 30 Jahren beobachte ich Vögel und befasse mich auch international intensiv mit Fragen des Vogelzuges und Vogelschutzes.

Klemens Steiof

PS:
Herr Maennle hat mir einige aktualisierte und aktuelle links zugesandt. Diese sind nachfolgend wiedergegeben (Stand 14.5.2006):
Chen, H. et al. (2006): Establishment of multiple sublineages of H5N1 influenza virus in Asia: Implications for pandemic control. – PNAS 103 (8): 2845-2850.
http://flu.org.cn/upfile/attachment/0511120103v2.pdf

Gilbert, M. (2006): Free-grazing Ducks and Highly Pathogenic Avian Influenza, Thailand. – Emerging Infectious Diseases 12 (2): 227-234.
http://www.cdc.gov/ncidod/EID/vol12no02/05-0640.htm

Hulse-Post, D.J. (2005): Role of domestic ducks in the propagation and biological evolution of highly pathogenic H5N1 influenza viruses in Asia. – PNAS 102 (30): 10682-10687.
http://www.flu.org.cn/upfile/attachment/0504662102v1.pdf

Außerdem zwei Online-Abstracts zu:

Kou, Z. et al.
(2005): New Genotype of Avian Influenza H5N1 Viruses Isolated from Tree Sparrows in China. – Journal of Virology, Dec. 2005: 15460-15466.
http://jvi.asm.org/cgi/content/abstract/79/24/15460

Sturm-Ramirez, K.M. (2005): Are Ducks Contributing to the Endemicity of Highly Pathogenic H5N1 Influenza Virus in Asia? – Journal of Virology, Sept. 2005: 11269-11279.

http://jvi.asm.org/cgi/content/abstract/79/17/11269

Zum Abschluß einige Übersetzungen zu:

Grain Briefing (February 2006): Fowl play: The poultry industry's central role in the bird flu crisis.
http://www.grain.org/briefings/?id=194
Maennle, D. et al. (März 2006): Fowl play - Falsches Spiel
Die zentrale Rolle der Geflügelindustrie in der Vogelgrippekrise. http://buendnis-gegen-keulung.de/InfobriefGRAIN.pdf

Feare, C.J. (2006): Fish farming and the risk of spread of avian influenza.
www.birdlife.org/action/science/species/avian_flu/index.html

Maennle, D. (2006): Fischfarmen und das Risiko der Verbreitung der Aviären Influenza. http://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/vogelschutz/vogelgrippe/10.pdf

Ergänzend:

Grain - Against the Grain (April 2006):
The top-down global response to bird flu.
http://www.grain.org/articles/?id=12
Maennle D. (April 2006): Die globale Antwort der Obrigkeit auf die Vogelgrippe.
http://buendnis-gegen-keulung.de/
AgainstTheGrain.pdf

07 April 2006

Schreiben vom 27.2.2006

die Ursachenforschung zur Ausbreitung der Geflügelpest in Deutschland ist in eine Sackgasse geraten. Als möglicher Vektor werden derzeit Zug- und sonstige Wildvögel in den Vordergrund gestellt. Für diesen Übertragungsweg gibt es bislang aber weltweit keinerlei Belege, von der örtlichen Ausbreitung (über einige Kilometer) abgesehen. Hauptübertragungsweg der letzten Monate dürfte neben dem Handel mit Geflügel global die Verwendung von Geflügelkot als Dünger in Fischereibetrieben und ggf. auch in der Landwirtschaft sein. Eine weitere Rolle mögen Schlachthausabfälle und sonstige Abfallprodukte der Massengeflügelhaltung spielen. Es ist offenkundig, dass in Deutschland in Unkenntnis dessen derzeit zum Teil verkehrte Maßnahmen ergriffen werden.

Dieses möchte ich nachfolgend erläutern:

Ich bin vor einer Woche aus Ostasien zurückgekehrt, wo ich mich bei den dortigen Ornithologen intensiv über das Auftreten der Geflügelpest informieren konnte (zusammenfassend z.B. Quellen1+2, ausführliche Details in Quelle3). Es wurden die einzelnen Fälle des Auftretens in den letzten Monaten und Jahren analysiert, mit dem Ergebnis, dass Wildvögel als Vektor über größere Entfernungen äußerst unwahrscheinlich sind. Die Zugwege oder Flugrouten von Wildvögeln korrelieren nicht mit den Ausbreitungswegen der Seuche. Weder innerhalb Asiens, noch von Asien nach Europa gibt es Zugrouten zwischen den betroffenen Gebieten. Lediglich ein einziger Fall des möglichen Transportes des Virus durch Wildvögel von China in die Süd-Mongolei (einige 100 km) wird von den asiatischen Ornithologen erwähnt. Dort blieb der Ausbruch örtlich beschränkt, und der Erreger verschwand innerhalb von Wochen – ganz im Einklang mit sonstigem „normalen“ Krankheitsgeschehen in freilebenden Tierpopulationen mit natürlicher Selektion. Es gab keine Übertragung auf Hausgeflügel.

Wildvögel sind nicht die Vektoren, sondern hingegen die Opfer menschlichen Handelns, wie die zum Teil spektakulären Ausbrüche belegen (z.B. der Tod von Tausenden Streifengänsen innerhalb kurzer Zeit in Qinghai/China im Mai 2005). Es ist zudem nicht wahrscheinlich, dass ein infizierter Vogel noch weite Strecken fliegen kann; die meisten Vögel sterben an Ort und Stelle. Auffällig ist ferner, dass in Ländern mit strikten Einfuhrkontrollen keine Geflügelpest auftritt obschon 100.000de von Zugvögeln auch aus Seuchengebieten dorthin ziehen, z.B. Japan, Südkorea, Malaysia oder Australien. In Südkorea allein überwintern über eine Million Wasservögel aus China und Sibirien.

Der Verlauf der Seuchenausbreitung in den letzten Monaten lässt sich hingegen gut mit den beiden mutmaßlichen Hauptübertragungswegen erklären: Zum einen mit dem Handel mit Geflügel und Wildvögeln. Hierbei ist auch an Personen zu denken, die das Virus (z.B. an Kleidung oder Ausrüstung) von einer Tierhaltung zur nächsten transportieren. Noch immer findet illegaler Handel mit Hühnern aus China statt (Aufgriffe in Italien im Oktober 2005 und in Großbritannien, Ausbruch in Nigeria). Auch mit gehandelten Wildvögeln gelangte das Virus nach Europa. Zum anderen aber ist es der Handel mit Geflügelprodukten. Hierzu zählt insbesondere Geflügelkot zur Düngung in der Fischereiwirtschaft, aber auch in der Landwirtschaft. Zur Düngung werden auch Abfälle aus Schlachthäusern verwandt. Schlimmer noch: Nach aktuellen Informationen (siehe Quelle3) werden Schlachthausabfälle und sonstige organische Abfälle der Massengeflügelhaltung (einschließlich Kadaver) zu Futtermitteln verarbeitet – wiederum auch für Geflügel. Offenbar entsorgt sich die Geflügelindustrie ihrer Abfälle durch den Verkauf derselben. Parallelen zum BSE-Skandal sind auffällig. Das Virus ist wochenlang im Kot und anderem organischen Material überlebensfähig (Aussage FAO, zit. nach Quelle3a, unter günstigen Bedingungen 30-35 Tage).

Schon seit längerem ist bekannt, dass die riesigen Massentierhaltungen in China ihr Fäkalien-Entsorgungsproblem dadurch gelöst, dass sie den Kot als Dünger verkaufen. Die FAO hat dieses massiv unterstützt und die Verwendung in Fischteichen zur Steigerung der Erträge propagiert. Dieses ist der Verbreitungsweg, auf den in den letzten Monaten vermutlich die Mehrzahl der neuen Pestausbrüche zurückzuführen ist. Dem schon erwähnten Massentod der Streifengänse in Qinghai ist vorausgegangen, dass mit Unterstützung der FAO Fischteiche angelegt worden sind, die intensiv mit Geflügelkot gedüngt wurden. Wie schon erwähnt sind Länder mit strikten Einfuhrkontrollen von der Geflügelpest verschont geblieben. Länder mit schlechten Einfuhrkontrollen sind jedoch von vielen Krankheitsausbrüchen betroffen. Handel mit Geflügelkot findet auch aus Asien heraus und offensichtlich bis nach Europa hinein statt. So findet sich im Internet die (von mir nicht überprüfte) Aussage über intensive Importe von Dünger aus Geflügelprodukten aus China zur Verwendung in Fischteichen in Serbien (Quellen3a+3b). Nebenbei bemerkt gibt es auch in der Türkei industrielle Hühnerhaltung, die ihre Abfälle als Dünger entsorgt.

Ausführliche Informationen zur Verwendung von Vogelkot in Fischteichen siehe unter Quelle3b.

Mit diesem Wissen aus Asien zurückgekommen, fällt mir die in Deutschland erzeugte öffentliche Panik vor Wildvögeln besonders auf. Auch dienstlich werde ich hiermit konfrontiert. Die ersten Anträge zur Beseitigung von Mehlschwalbennestern wurden gestellt, ein Projekt zur Aufnahme verletzter Wildvögel wurde von den Veterinären geschlossen, und Anrufer fragen nach der Gefährlichkeit des Aufenthaltes im Freien. Es vergeht derzeit kein Fernsehabend, in dem nicht sogenannte „Vogelgrippe-Experten“ die Ausbreitung der Seuche durch Zugvögel in den Vordergrund stellen, und auch Herr Minister Seehofer weist im Fernsehen düster auf die kommenden Zugvögel hin (in „Christiansen“, 26.2.06).

Es ist erstaunlich, dass selbst das wissenschaftlich in Deutschland „zuständige“ Friedrich-Löffler-Institut Wildvögel für einen möglichen Überträger hält (Pressemitteilung vom 20.1.2006). Es wird aber nirgendwo darüber Auskunft gegeben, welche Vögel denn den Erregern von A nach B transportiert haben können. Weder für Rügen noch für den Bodensee liegen hierzu Aussagen vor.

Da ist zu fragen, was in Deutschland denn für die Krankheitsausbrüche verantwortlich ist. In Hongkong witzelt man über den Zufall, dass der räumlich völlig isolierte Ausbruch auf Rügen nur wenige Kilometer neben den Laboren des Friedlich-Löffler-Institut stattgefunden hat (Quelle3a). Wurde dort mit dem Erreger gearbeitet und haben sich alle mit dem Erreger umgehenden Mitarbeiter ausreichend dekontaminiert, bevor sie das Institutsgelände verlassen haben? Für wesentlich wahrscheinlicher halte ich aber den Weg über Dünger. Hierauf weisen die hauptsächlich betroffenen Wasservögel hin. Ich habe nirgends gelesen oder gehört, dass Kontrollen der ausgebrachten Dünger vorgenommen wurden und dieser Infektionsweg ausgeschlossen werden kann. Hier müsste intensiv gefahndet werden, denn wenn Geschäfte zu machen sind, sind auch Falschdeklarationen nicht auszuschließen (siehe „Gammelfleisch-„ und BSE-Skandal, illegaler Handel mit geschützten Tier- und Pflanzenarten).

Bemerkenswert finde ich ferner, dass Höckerschwäne als sehr häufige Opfer unter den Wildvögeln genannt werden, auch bei den früheren Ausbrüchen in Ost- und Südeuropa. Diese sind sicherlich auffällig und werden daher leichter gefunden als andere Vögel. Wahrscheinlich scheint mir aber auch, dass sie nahrungsökologisch besonders gefährdet sind. In Fischteichen kommen Schwäne aufgrund ihres langen Halses und der leichteren Erreichbarkeit des Sedimentes möglicherweise noch intensiver mit den eingebrachten Erregern in Kontakt als andere Wasservögel. Daneben suchen Höckerschwäne auch auf Feldern Nahrung (Stoppelfelder, Rapsfelder usw.), wo sie ebenfalls dem Erreger (durch Dünger eingebracht) ausgesetzt sein können.

Nebenbei bemerkt sind Hausgeflügelhaltungen ebenfalls Opfer der Geflügelpest und damit der Geflügelindustrie: Direkt (potenziell) durch den Handel mit kontaminiertem Tierfutter, und indirekt durch die behördlichen Maßnahmen gegen die vermeintliche Einschleppung der Seuche durch Wildvögel (Einstallungsflicht).

Ich möchte daher eindringlich bitten, das – zugegebenermaßen sehr bequeme – Märchen von den Wildvögeln als Vektor für die Geflügelpest nicht weiter zu propagieren. Es führt zu panischem Verhalten in der Bevölkerung, und es hindert vor allem daran, die tatsächlichen Verursacher zu suchen und die weitere Ausbreitung der Seuche zu unterbinden. Auch gehen zwangsläufig viele „Schutzmaßnahmen“ ins Leere, statt dessen werden die Falschen betroffen (Naturbesucher, Kleintierhalter).

Hingegen sollte bei jedem neuen Ausbruch der Seuche bei Wildvögeln die Frage im Mittelpunkt stehen, wie das Virus in die Landschaft (und damit die Nahrungskette) eingebracht wurde. Welche Geflügelprodukte sind verwendet worden? Wo stammen diese her? Ist irgendwo Geflügelkot aus Befallsgebieten untergemischt worden? Sind alle Düngerlieferungen richtig deklariert worden? Im Grunde genommen könnte bei jedem neuen Ausbruch in Deutschland sofort eine Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt werden.

Quelle1: www.birdskorea.org/poultryflu_mainpage.asp

Quelle2: www.birdlife.org/action/science/species/avian_flu/index.html

Quelle3: www.drmartinwilliams.com/forum

Quelle3a: www.drmartinwilliams.com/component/option,com_simpleborard/Itemid,155/func,view/id,271/...

Quelle3b: www.drmartinwilliams.com/component/option,com_simpleboard/Itemid,155/func,view/id,209/...

Schreiben vom 6.3.2006

Mittlerweile habe ich auf mein Schreiben vom 27./28.2.2006 viele Rückkoppelungen erhalten. Diese reichen von Zustimmung bis zu „ziemlichen Unsinn“. Darüber hinaus habe ich zahlreiche Gedanken und Anregungen von Nial Moores (Süd-Korea) und Dr. Martin Williams (Hongkong) erhalten, nach denen ein differenzierteres Bild gezeichnet werden kann.

Meine Erwiderung muss daher leider etwas detaillierter ausfallen.

Unter den kritischen Stellungnahmen ist die von Wolfgang Fiedler von der Vogelwarte Radolf­zell am ausführlichsten. Ich möchte sie daher nachfolgend wiedergeben, auch um die Diskus­sion möglichst transparent fortzusetzen (Zitat):

Darüberhinaus kann ich aber in den derzeitigen Ausbruchsmustern durchaus
Übereinstimmun­gen mit dem Vogelzuggeschehen finden. Zwar längst nicht in
allen Fällen, aber es ist ja auch nicht zu erwarten, dass das Virus ausschließlich
das eine oder das andere Vehikel benutzt. Ich sehe bei den Steiof-(BirdLife-, LBV-...)
Argumenten einige Probleme:
1) ".. weder innerhalb Asiens, noch von Asien nach Europa gibt es Zugrouten zwischen den be­troffenen Gebieten." Das ist leider falsch. Der Weg des Virus folgt von der Chinesischen Küste dem Herbstvogelzug in den Indoasiatischen Raum. Über eine einzige Zwischenetappe im Süd­asiatischen Raum (Herbstzg - Winter - Frühjahrszug) lässt sich die Westwärtsbewegung erklären. Auch die räumliche und sogar zeitliche Koinzidenz (einschließlich der Übereinstimmung beim Vi­rentyp) auf der Etappe von Südwestsibirien bis ins Schwarzmeergebiet lässt sich nicht überse­hen. Zweifellos gibt es auch eine ganze Reihe so nicht erklärbarer Wege des Virus, aber es wäre unzutreffend zu sagen, dass es überhaupt keine Übereinstimmung gibt. Ich bin aufgrund der der­zeitigen Ausbruchsmuster davon überzeugt, dass wir uns alle von der Annahme verabschieden müssen, dass die Ankunft des Virus im Freiland (transportiert durch einen Wildvogel) an einer bestimmten Stelle unausweichlich und zeitnah dort zu bemerkbarem Massensterben bei Wildvö­geln führen muß. So lassen sich viele Ausbrüche auf der zeitlichen Achse schlichtweg überhaupt nicht erklären. Das heißt dann aber auch, dass die Westwärtswanderung über mehrere Zugpe­rioden hinweg durchaus denkbar ist, ohne dass an jedem Knoten der gedachten Kaskade sofort Massensterben registriert werden müssen. Wer sich die Bilder der stark um die Nordrichtung auf­gefächerten Brutzeit-Ringfunde von im Winterquartier beringten Enten vergegenwärtigt, versteht, was ich mit dem Potenzial zur Ost -West-Wanderung meine.

2) "Die meisten Vögel sterben an Ort und Stelle". Diese Annahme ist in zweierlei Hinsicht wohl so nicht mehr haltbar: erstens gibt es inzwischen Arbeiten, die in Asien für Hühner hochpathogenes H5N1 in klinisch gesunden Wildvögeln (Enten, Weidensperling) nachweisen konnnten (wenn auch sehr geringe Zahlen, aber wir wissen ja nicht, wie hoch die Dichte solcher Vektoren sein muß, um beispielsweise einen Ausbruch in einem Wasservogelgebiet zu provozieren). Zweitens würde diese Annahme bedeuten, dass in Wien, auf Rügen, am Bodensee, am Genfer See, in Wolfratshausen, am Lech, in Schweden und in Frankreich jeweils innerhalb der drei Wochen vor den Ausbrüchen das Virus aus Vogelgrippegebieten antransportiert worden sein muß. Entspre­chende Zugvogelbewegungen können wir ausschließen und Geflügelprodukte oder -mist, die an all diesen Stellen innerhalb sehr kurzer Zeit gleichzeitig antransportiert und freigesetzt wurden sind als Alternativhypothese genauso wenig plausibel.


3) "... daß in Ländern mit strikten Einfuhrkontrollen keine Geflügelpest auftritt...": Dies trifft für Australien (und Neuseeland) zu und stellt damit auch wirklich ein gutes Argument gegen die pri­mitiveren Formen der Zugvogel-Vektoren-Hypothese dar (allerdings mit der leichten Einschrän­kung, dass wohl nur sehr wenige Enten aus den Ausbruchsgebieten wirklich Australien erreichen und die sind ja als Vektoren besonders unter Verdacht). Aber die Liste der Länder ist nicht ganz richtig: es gab H5N1-Ausbrüche auch in Japan, Südkorea (jeweils Januar 2004). Malaysia hat bisher offenbar wirklich keine Fälle gemeldet, aber das kommt mir angesichts einer ganzen Kette von Ausbrüchen auf thailändischer Seite entlang der Malayischen Grenze nicht sehr verlässlich vor.


4) Geflügelfutter; Geflügelkot-Düngung: wo genau sind hier die auf die Situation in Europa zu­treffenden Argumente, wenn wir mal die Vermutung außer Acht lassen, dass die Agroindustrie in zahlreichen Skandalen den Eindruck hinterlassen hat, letztlich zu allem fähig zu sein? Ich habe erhebliche Probleme mit der Vorstellung, dass infizierter Hühnerdung aus China innerhalb von drei Wochen auf deutsche Felder gelangen soll, ohne vorher auszutrocknen oder sich über 10° zu erwärmen (dies sollte die Überdauerungsfähigkeit der Viren nochmals verkürzen). Der Trans­port wird ja kaum mit dem Flugzeug stattfinden. Und auch die Annahme von Hühnermistexporten aus der Ukraine, Rumänien (beide übrigens Importeure und nicht Produzenten von Geflügel im Bereich von je 10 - 15 Mio. / Jahr) oder der Türkei in alle oben genannten neueren Ausbruchs­gebiete gleichzeitig ist für mich alles andere als plausibel. Die Hypothese vom verseuchten Ge­flügelfutter finde ich für Mitteleuropa deswegen problematisch, weil die jüngsten Ausbrüche eben gerade nicht in Geflügelbeständen, sondern im Freiland stattgefunden haben und dem eben ge­rade keine Ausbrüche in Geflügelbeständen voraus gingen. Das lässt sich dann nur noch mit wil­den Verschwörungs- und Geheimhaltungstheorien erklären, die wir uns realistischerweise erspa­ren sollten und bei denen wir uns erinnern sollten, dass es selbst den totalitären Staaten und sol­chen mit deutlicher Pressezensur nicht gelungen ist, Geflügelpestausbrüche mittelfristig geheim zu halten.


5) der von vornherein wohl nicht ganz ernst gemeinte Vorwurf der Freisetzung der Viren aus dem FLI hat sich mit den Ausbrüchen am Bodensee ja wohl erübrigt (nein, auch an der Vogelwarte haben wir keine solchen Viren vorrätig, obwohl die beiden ersten deutschen Ausbruchsgebiete jeweils in Rufweite einer Beringungszentrale (Hiddensee, Radolfzell) ja nun auch eine bemer­kenswerte Koinzidenz darstellen und die Frage aufwerfen, ob in Ostfriesland (IfV Wilhelmshaven) vielleicht nachlässig untersucht wird??)


Aber Spaß beiseite: ich hoffe, man nimmt es mir nicht übel, wenn ich auch die Argumente der Gegner der Vogelzug-Vektoren-Hypothese kritisch hinterfrage. Ich glaube nicht, dass viel zu ge­winnen ist, wenn auf so dünnem Eis argumentiert wird. Und dabei vermute ich viel belastbarere Punkte hier:


- die offensichtliche Zeitlücke zwischen Ankunft potenzieller Wildvogel-Virenträger und den ersten bemerkten Ausbrüchen von 12-15 Wochen. Wo ist das Virus in dieser Zeit und warum wird es nicht bemerkt?


- den beginnenden Endemismus von H5N1 in Regionen Asiens (wie kann ein Virus endemisch werden, von dem man gleichzeitig annimmt, dass es durch Wildvögel um halbe Kontintente ver­breitet wird?)


- die fehlenden Ausbrüche in hochfrequentierten Ziel- und Durchzugsgebieten von Zugvögeln aus hoch belasteten AI-Gebieten


- erste Analysen zur genetischen Verwandtschaft verschiedener H5N1-Typen, aus denen sich Ausbreitungswege (in SE-Asien) rekonstruieren lassen, die Wildvogelverbreitung nicht sehr wahrscheinlich machen, aber deutliche Zusammenhänge mit Geflügelbewegungen aufweisen.


Ich halte es für empfehlenswert, an diesen Punkten anzusetzen und dabei aber nicht grundsätz­lich die Möglichkeit auszuschliessen, dass auch (!) Wildvögel das Virus übertragen können - nur eben nicht nach den derzeit in Politik und Presse gerne dargestellten Primitivmustern.

Viele Grüße
Wolfgang Fiedler

Zu den einzelnen Punkten möchte ich folgendes anmerken:

Zu 1) Die Erklärungsansätze mittels Zugrouten von China über den indoasiatischen Raum nach Europa (und letztlich Rügen) scheinen mir nicht plausibel, zumal sie über mehrere Zugperioden stattgefunden haben (können) sollen. Wo steckt das Virus in der Zwischenzeit? Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass das Virus im Freiland „inaktiv“ überdauern kann. Weder nach dem großen Ausbruch in Qinghai noch in der Mongolei gab es irgendwelche späteren Infektionen bei Wildvögeln. Es gibt auch keine Belege dafür, dass das Virus in einer Wildvogelpopulation überleben kann. Nach allen Erkennt­nissen im Freiland bekommen viele Vögel in den Befallsgebieten das Virus gar nicht. Bei den übrigen gibt es die Alternative, das sie daran sterben, oder mit dem Virus fertig wer­den. In beiden Fällen verschwindet das Virus schnell wieder. Ein „Pingpong-Effekt“, nach dem das Virus innerhalb der Inkubationszeit (und danach?) an andere Vögel wei­tergegeben wird und sich so über Monate unentdeckt in der Vogelpopulation hält, ist für diesen hochpathogenen Erreger nicht wahrscheinlich. Es müsste hier eine Vogelart (-population) geben, auf die das Virus nicht hochpathogen wirkt. Dazu liegen meines Wis­sens keine Erkenntnisse vor.

Und: Warum werden in Ländern wie Japan, Südkorea und Indien keine Ausbrüche (im Freiland wohlgemerkt) festgestellt, obwohl dort wesentlich mehr Vögel aus und durch die Befallsgebiete hinziehen als nach Europa? Es gab keine Krankheitsausbrüche im Frei­land irgendwo zwischen Kaspischem Meer und Japan im letzten Winterhalbjahr – auch nicht in Indien, wo viele Vögel überwintern, die durch Qinghai ziehen und dort brüten. Würde die Seuche durch Wildvögel aus den asiatischen Befallsgebieten transportiert werden, hätten Ausbrüche entlang der Zugwege bei den vielen Millionen Wasservögeln in Asien festgestellt werden müssen. Die Annahme, dass das Virus über Wildvögel von China nach Europa (bis Deutschland) gelangt sein soll, scheint mir daher äußerst un­wahrscheinlich.

Zu 2) Es ist nach wie vor so, dass am hochpathogenen H5N1-Virus die meisten Wild­vögel an Ort und Stelle sterben. Wenn dem nicht so wäre, gäbe es mehr radiale Aus­breitungszonen um die Seuchenherde, und zwar kurzfristig. Außerdem müssten ver­mehrt Wildvögel nachgewiesen werden, die das Virus tragen. Stattdessen wird das Virus offenbar ausschließlich in toten und sterbenden Tieren nachgewiesen. In Hongkong wurden in den letzten Jahren rund 16.000 lebende Wildvögel beprobt – alle negativ. Alle dort mit dem Virus infizierten gefundenen Wildvögel waren tot (Martin Williams per e-mail). Die offenbar extrem wenigen Feststellungen des hochpathogenen Virus in gesun­den Wildvögeln (was waren das für Weidensperlinge?) können eigentlich nur innerhalb der Inkubationszeit beobachtet worden sein. Danach würde entweder der Organismus das Virus beseitigt haben oder an ihm sterben. In dieser Zeit können natürlich Infektio­nen anderer Vögel erfolgen, die aufgrund der kurzen Inkubationszeit (s.u.) zu Krank­heitsausbrüchen führen. Erkenntnisse über Vogelarten, auf die das Virus nicht hoch pathogen wirkt, liegen wie gesagt nicht vor. Wenn es eine solche Vogelart gäbe, könnte sich das Virus dort theoretisch halten, ohne zu Ausbrüchen zu führen.
Nachweise an Stockenten in Gefangenschaft (auf diesen publizierten Fall mag sich die Anmerkung beziehen), die das Virus bei (scheinbarer) Gesundheit im Körper hatten, dürfen nicht ohne weiteres auf Zugvögel übertragen werden, die ganz anderen physio­logischen Anforderungen unterliegen (siehe hierzu auch Quelle1).

Die Fälle nahezu zeitgleichen Auftretens (innerhalb der letzten 1-2 Wochen) infizierter Wildvögel an verschiedenen Stellen in Mitteleuropa sprechen in der Tat gegen die These, dass ausgebrachtes Material zu den Infektionen geführt hat. Aber – wie Wolf­gang Fiedler selbst feststellt – sprechen sie auch gegen die Verbreitung durch Zugvögel. Ein Beispiel dafür, wie wenig wir wissen.

Als wenig hilfreich empfinde ich die Zufälligkeit der Argumentation: Die Ausbrüche in Deutschland kamen zu einer Zeit der Winterruhe. Auch Wolfgang Fiedler sieht keine Korrelation zu Flugwegen von Zugvögeln. Wäre bei Ausbrüchen im März/April, zu einer Zeit intensiven (Wasser)Vogelzuges, nicht das Argument gekommen, die Zugvögel hät­ten das Virus bringen können? Und das unabhängig davon, ob im Ursprungsgebiet ein Seuchenausbruch festzustellen war oder nicht. Anmerkung: Vielleicht wäre ein Ausbruch im März/April gar nicht erfolgt, weil das Virus den Transportweg bei höheren Temperatu­ren nicht überlebt hätte (siehe zu 4).

Zu 3) Hier war ich in meinem Schreiben vom 27.2.06 vielleicht etwas zu knapp. In Ja­pan und Süd-Korea sind keine Ausbrüche in Wildvogelbeständen festgestellt worden, was bei über einer Million allein in Südkorea überwinternder Wasservögel wirklich be­merkenswert ist – und das nur 500 km von Südchina entfernt, wo seit rund 10 Jahren die Seuche existiert! Es gab Ausbrüche in Geflügelhaltungen, mit kleinen Opferzahlen bei Wildvögeln. Dieses waren aber keine Zugvögel, sondern z.B. Krähen, die Abfälle fraßen. Alle Ausbrüche wurden mit Schlachtungen des Geflügels beseitigt (vgl. auch Quelle1).

Auch das von Wolfgang Fiedler genannte Beispiel von Thailand (viele Ausbrüche) und dem Nachbarland Malaysia (kaum Ausbrüche) zeigt, wie unterschiedlicher Umgang mit Kontrollen und unterschiedlicher Umgang mit der Geflügelindustrie das Auftreten der Seuche bestimmt, nicht jedoch das Auftreten von Zugvögeln. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, Krankheitsausbrüche in Malaysia würden weniger bekannt als in Thai­land. Im übrigen hatte Malaysia kürzlich ein Auftreten der Seuche, vermutlich auf Ein­schmuggeln von Kampfhähnen zurückzuführen.

Für mich ist dieser Umstand des Stopps der Seuche vor Staatsgrenzen ein ganz ge­wichtiges Argument dafür, dass der Transport über den Handel sehr wahrscheinlich, über Wildvögel hingegen äußerst unwahrscheinlich ist.

Zu 4) Ich habe keinerlei detaillierte Informationen über den Umgang mit Geflügelkot und –abfällen als Dünger (und Futter). Ich habe einzelne Fakten genannt und angeregt, auch hier nachzusuchen (anstelle nur bei den Wildvögeln). Quelle2 liefert hierzu zahlrei­che Anregungen! China muss hier auch nicht die einzige potenzielle Quelle sein. In der Türkei existiert in Afyon eine Fabrik zur Produktion von organischem Dünger aus Hüh­nermist, die eine Kapazität von 300 to täglich hat und damit die größte in Europa ist (Quelle3). Gleichzeitig werden als Hauptimporteure des Wirtschaftsbereiches „Tier- und Meeresprodukte“ aus der Türkei die Länder Italien, Deutschland, Frankreich, Griechen­land und Japan genannt. Wie lange braucht ein LKW von der Türkei nach Mitteleuropa? Jetzt in der kalten Jahreszeit ist die Fahrzeit wesentlich kürzer, als H5N1-Viren lebens­fähig sind. Ich habe keinerlei Informationen darüber, ob derartige Transporte stattfinden, ob LKW nach jedem Transport desinfiziert werden oder ob Dünger ausgebracht, Dünge­säcke gelagert werden oder dergleichen. Aber diese möglichen (bis wahrscheinlichen) Vektoren sollten nicht von vornherein ausgeklammert werden. Gleiches trifft für das Le­bendgeflügel zu: Die zweitgrößte Fabrik Europas zur Vermarktung angebrüteter Eier liegt in der Türkei. Sie produziert über 100 Millionen Bruteier, von denen ein erheblicher Teil in den Export nach Osteuropa geht. Diese Eier können die Geflügelpest übertragen (FAO, in Quelle4).
Futter aus Geflügelabfällen ist für Mitteleuropa wohl ein äußerst unwahrscheinlicher Übertragungsweg, wird aber z.B. von den russischen Behörden für einen Ausbruch in einer Farm in Kurgan als möglicher Ansteckungsweg gesehen, bei dem 460.000 Vögel getötet wurden (Quelle4). Die Erfahrungen aus dem BSE-Skandal sollten uns aber auch hier misstrauisch sein lassen.

Das alles sind nur Schlaglichter in das Geschäft der Geflügelindustrie. Wann werden die Ausbreitungshypothesen hier ernsthaft überprüft?

Zu 5) Diese Anmerkung war kein Vorwurf, sondern eine Anekdote aus dem Ausland.

Des Weiteren wurde mir eine E-Mail der Universität Greifswald weitergeleitet (kein wörtliches Zitat):

Danach wird die Inkubationszeit der (klassischen) Geflügelpest mit 1-7 Tagen angege­ben, und die Krankheitsdauer mit 1-5 Tagen. Somit verbleiben einem infizierten Vogel 2-12 Tage (in denen er auch fliegen kann), um die Erreger weiter zu tragen. In Ausschei­dungen von Enten seien die Viren bei 4°C 30 Tage infektiös, bei 20°C 4 Tage. Im Som­mer werden sie durch UV-Licht schnell inaktiviert. In kotverschmutztem Seewasser sind die Viren bei 0°C bis 30 Tage infektiös, bei 22°C nur 4 Tage.

Hiernach sind Wildvögel grundsätzlich in der Lage, das Virus zu transportieren. Die Frage ist jedoch, ob dies real tatsächlich in relevantem Ausmaß stattfindet. Relevant meint, in ausrei­chendem Umfang, um zur weiteren Verbreitung der Seuche zu führen. Und hierzu gibt es mei­nes Wissens bisher keine Erkenntnisse (siehe oben zu 1, 2 und 3). Nach nunmehr fast 10 Jah­ren Auftreten der hochpathogenen H5N1-Variante in Asien gibt es keinen nachgewiesenen Fall des Ferntransportes durch Zugvögel, der zu einem Krankheitsausbruch unter Wildvögeln ge­führt hat (sehr wahrscheinliche Ausnahme: der in meinem Schreiben vom 27.2.06 erwähnte Ausbruch in der Mongolei, wenige 100 km vom Ursprungsgebiet in Russland (nicht China) ent­fernt).

Das FLI ist hat mit Stand vom 3.3.06 aktuelle „Antworten auf Fragen zur hoch pathogenen Aviä­ren Influenza“ als pdf-file ins internet gestellt hat, bei denen Zugvögel eine besondere Rolle spielen (Quelle5) (kein wörtliches Zitat):

Danach wird als einziger Erklärungsansatz (Hypothese) auf die Frage, wie das Virus noch vor Einsetzen des Vogelzuges nach Rügen kam, auf Wildvögel verwiesen: So könnten Kälteeinbrüche im Januar die Winterflucht von Vogelpopulationen nach Westen ausgelöst haben. Über überlappende Brutgebiete könnten Vögel das Virus vom Aus­bruch am Qinghai See (Mai 2005) erst nach Norden, und dann hier in die Überwinte­rungsgebiete transportiert worden sein. Ein betroffener Singschwan kam zuvor aus Lettland. Allerdings ist in den baltischen Ländern kein H5N1-Fund gemeldet worden. Auch Höckerschwäne können bei langen Kälteperioden bis zu 500 km fliegen.

Darüber hinaus seien die Erstausbrüche im Westen Russlands, in Rumänien, der Uk­raine und der Türkei höchstwahrscheinlich auf den Eintrag durch Zugvögel zurückzufüh­ren. Ferner sei ein Kontakt von Zugvögel zu infizierten Tieren in den bisher betroffenen Ländern Afrikas und Europas nicht ausgeschlossen, deshalb kann eine weitere Verbreitung des Virus durch Zugvögel in Europa nicht ausgeschlossen werden.

Der Transport über weite Strecken (betroffene Gebiete bis zu uns) wird als eher unwahr­scheinlich bezeichnet, da Wildvögel in der Regel nach einer Infektion sterben. Allerdings sei es denkbar, dass sich der Erreger schrittweise ausbreitet (durch Überlappung von Brutgebieten und Zugrouten). Nach neuesten Untersuchungen können Wasservögel auch hoch pathogene H5N1-Wiren verbreiten, ohne selbst daran zu erkranken. Diese Vi­ren konnten auch aus mobilen, klinisch gesunden Zugvögeln isoliert werden.

Diese Erklärungsansätze erscheinen mir sehr weit hergeholt. Die Vorstellung, das Virus ist von China im April/Mai 2005 in die Brutgebiete in der arktischen Tundra transportiert worden, dann von dort mit Singschwänen über das Baltikum im Januar 2006 nach Rügen, um (nach 8-9 Mo­naten!) zu einem Ausbruch zu führen, klingt für mich sehr, sehr unwahrscheinlich. Auch die al­ternativ genannten Höckerschwäne scheinen als Vektor für den Ausbruch auf Rügen nicht plausibel. Mir ist nicht bekannt, dass Höckerschwäne aus Südost-Europa bei Kälte nach Nord­nordwest ausweichen. Auch Schwäne aus der Ukraine (wie ist das Virus dorthin gekommen?) würden im Extremfall wohl nicht 1.000 km nach Nordwesten ausweichen, sondern eher die wintermilderen Schwarzmeergebiete oder sogar die Mittelmeerregion aufsuchen.

Dass die Erstausbrüche im Westen Russlands, in Rumänien der Ukraine und der Türkei höchstwahrscheinlich auf den Eintrag durch Zugvögel zurückzuführen sind, ist eine weitere Spekulation, für die keinerlei untermauernde Fakten genannt werden. Viel wahrscheinlicher dürfte der Handel mit Geflügel und Geflügelprodukten sein. Wir haben auf den vermeintlichen Zugwegen von Asien nach Westrussland und in die Türkei keinerlei Ausbrüche in der Natur, die aber zu erwarten wären. Wir haben aber einen lebhaften Handel, zahlreiche Straßenverbindun­gen, und in den Massentierhaltungen der Türkei (mit internem Handel mit Geflügel und Geflü­gelprodukten) günstige Voraussetzungen, um eingeschleppten Viren zu Ausbrüchen zu verhel­fen. Im internet finden sich hierzu weitere Informationen, die ich aus Platzgründen nicht wieder­holen möchte (Quelle6). Wolfgang Fiedler erwähnt oben unter 4) Rumänien und die Ukraine als Importeure von je 10-15 Mio. Geflügel/Jahr. Allein dieses wäre ein Erklärungsansatz für die Ausbreitung der Seuche in Südost- und Osteuropa.

Immerhin stellt das FLI fest, dass ein direkter Ferntransport des Erregers eher unwahrscheinlich ist. Stattdessen wird für denkbar gehalten, dass sich der Erreger schrittweise ausbreitet. Dass dieses aber weder nachgewiesen noch nach dem Auftreten des in Asien in den letzten Jahren auch nur wahrscheinlich ist, wird verschwiegen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das hoch­pathogene H5N1 in freilebenden Populationen von Wildvögeln überleben kann. Mit den Vögeln stirbt die Seuche. Letztlich werden die Erfahrungen mit dieser Seuche, die in Asien reichlich gesammelt werden konnten, gar nicht zur Kenntnis genommen.

Die vom FLI erwähnte Verbindung von Afrika (dort: Geflügelfarm in Nigeria) zu uns durch Zug­vögel ist einerseits ziemlich unwahrscheinlich, andererseits aber hervorragend geeignet, wei­tere Panik vor Zugvögeln auszulösen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, anzunehmen, dass nun alle weiteren Ausbrüche in Europa auf die Übertragung durch aus Afrika kommende Zug­vögel geschoben werden können.

Das FLI erwähnt neueste Untersuchungen, nach denen Wasservögel das hoch pathogene Vi­rus verbreiten können, ohne daran zu erkranken. Ebenfalls soll nach neuesten Untersuchungen hoch pathogenes H5N1 aus mobilen, klinisch gesunden Zugvögeln isoliert worden sein. Diese Untersuchungen sollten benannt werden, denn sie stehen im Widerspruch zu den bisherigen Erfahrungen.

Das, was mich weiterhin bei den Darstellungen des FLI bedenklich stimmt, ist der Ansatz, nur Zugvögel als möglichen Übertragungsweg zu uns zu benennen. Kein Wort zum Handel mit Ge­flügel, kein Wort zum Handel mit Geflügelprodukten. Die Geflügelindustrie ist riesig und vielfäl­tig. Viele Übertragungswege sind möglich, von Eiern und Küken über leere Transportboxen bis hin zu Dünger aus Fäkalien. Keiner von diesen wird benannt. Statt dessen werden öffentlich Wildvögel weiterhin als mögliche oder wahrscheinliche Vektoren dargestellt. Dass dies zu völlig überzogenen Maßnahmen führt, habe ich im Schreiben vom 27.2.06 bereits angedeutet. Mitt­lerweile sollen nicht nur Mehlschwalben-, sondern bereits Storchennester beseitigt werden, und in einem Bundesland wird ernsthaft diskutiert, vorsorglich auffällige Vögel abzuschießen.
Darüber hinaus hindert der Fokus auf Zugvögel möglicherweise daran, Alternativerklärungen gründlich abzuprüfen. Allerdings möchte ich nicht ausschließen (und hoffe es inständig), dass dies im Hintergrund erfolgt.

Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass die (Fern-)Verbreitung der hochpathogenen Variante des H5N1-Virus durch Zugvögel sehr unwahrscheinlich ist. Nach dem bisherigen Wis­sen stirbt die Seuche im Freiland mit den Vögeln. Für ein Überdauern im Freiland ohne Aus­bruch der Seuche gibt es momentan keinerlei Anhaltspunkte (theoretisch denkbar vielleicht in überfrierenden Gewässern – oder in noch nicht bekannten Vogelarten, auf die das Virus nicht hochpathogen wirkt). So gibt es immer noch keinen seriösen Erklärungsansatz für das Auftreten in Deutschland. Aber gerade weil wir hier vor mehr Fragen als Antworten stehen, sollten wir nicht so hartnäckig ignorieren, was in Asien in den letzten knapp 10 Jahren an Erfahrungen gesammelt wurde. Erst wenn bei uns auch Zugvögel als mutmaßliche Hauptvektoren in den Hintergrund treten, werden wir die Hauptausbreitungswege erforschen, vielleicht auch erkennen und eindämmen können.

Klemens Steiof

Quelle1: www.birdskorea.org/poultryflu_mainpage.asp

Quelle2: http://www.drmartinwilliams.com/component/option,com_simpleboard/Itemid,137/func,showcat/catid,7/&Itemid=155

Quelle3: www.turkishtime.org/33/en_39.asp

Quelle4: http://www.grain.org/briefings/?id=194

Quelle5: http://www.fli.bund.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/News/av_Influ/FAQ_Av_Influenza.pdf

Quelle6: http://www.drmartinwilliams.com/component/option,com_simpleboard/Itemid,155/func,view/id,443/catid,7/

Schreiben vom 15.3.2006


Die Vogelwarte Radolfzell scheint nun mit Tafel- oder Reiherente den möglichen Fernüberträger der Geflügelpest im Freiland gefunden zu haben (Spiegel online vom 9.3.06). Wohlgemerkt, den Vogel, auf den die Asia-Variante des H5N1-Virus nicht hoch pathogen wirkt, und der sie deshalb über weite Strecken und längere Zeiträume unentdeckt (ohne Krankheitsausbrüche unterwegs) transportieren kann.

Die einzige Untersuchung zu Vögeln im Freiland, die hierfür als Unterstützung herangezogen werden kann, und auf die sich der in Spiegel online erwähnte „Science“-Beitrag bezieht, ist die von Chen et al. (2006). Es lohnt sich, diese Veröffentlichung genauer anzusehen (Inhaltswie­dergaben eingerahmt):

13.115 Kotproben von Zugvögeln (inclusive 4.674 Enten) wurden zwischen 2002 und 2005 in Hongkong (n=6.005) und Poyang (n=5.358) gesammelt. Dabei wurden insge­samt 44 Influenza-A-Viren sechs verschiedener Subtypen gefunden (0,34 %), nur 6 Pro­ben hiervon der hoch pathogenenen „Asia-Variante“. Letztere wurden nur in Poyang festgestellt.

Die 6 Proben mit HPAI (hoch pathogener Vogelgrippe) wurden am Poyang-See (Südost-China) bei 2 Probenahmen im Januar und März 2005 von gesund erscheinenden Enten kurz vor ihrem Abzug („apparently healthy migratory ducks … just before their migration north“) isoliert. Dies stellt 0,1 % der dort beprobten Vögel dar.

Das Überleben dieser Vögel wird damit erklärt, dass sie sich vielleicht erst mit einem harmlosen H5-Virus infiziert, gegen diesen Antikörper gebildet haben, und dadurch möglicherweise besser gegen die hoch pathogene Variante geschützt waren.

Die Vögel von Poyang mögen sich bei Hausgeflügel in den Überwinterungsgebieten in Süd-China infiziert haben.

Es wurden in Poyang zwei verschieden Genotypen des Virus gefunden („Z“ und „V“).

Die meisten von versuchsweise mit diesen Viren kontaminierten (Labor-)Enten überleb­ten (Gänse starben) und schieden das Virus bis zu 7 Tagen auch aus. Hieraus wird ge­schlussfolgert, dass die Möglichkeit besteht, dass ziehende Enten das Virus beherber­gen und weit verbreiten können.

- In Poyang wurden bei den 6 Vögeln im Freiland 2 verschiedene Genotypen von H5N1 gefun­den. Sollte das Virus innerhalb der Vogelpopulation (welche Entenart war infiziert, oder waren es mehrere?) weitergegeben werden, wäre von einem identischen Virentyp bei den einzelnen Vogelindividuen auszugehen. Dieser Umstand weist eher auf eine kurz vor­her erfolgte Infektion durch aus verschiedenen Quellen ausgebrachte Viren hin. Nach Johan Mooij (per e-mail) ist der in der Trockenzeit stark austrocknende Poyang-See ein wichtiges Reisanbaugebiet, in dem auch mehrere Geflügelfarmen liegen, in denen zu der Zeit H5N1-Ausbrüche zu verzeichnen waren.

- Unter 6.005 Proben in Hongkong wurde nicht eine einzige mit dem hochpathogenen Erreger gefunden, obwohl dort Zugvögel überwintern, die durch verschiedene betroffene Gebiete in Ostasien ziehen. Das zeigt, dass kein maßgeblicher Vektor bei den Zugvögeln existieren kann. Zusammen mit den in Poyang isolierten Proben waren weniger als 0,05 % der Vögel Träger von HPAI. Und diese wurden vermutlich kurz vorher infiziert.

Die Ähnlichkeit von Gensegmenten der im Januar und März in Poyang gefundenen und der beim Krankheitsausbruch in Quinghai (nördliches Zentral-China, Mai 2005) isolierten Viren weist deutlich darauf hin, dass die Enten das Virus über große Distanzen trans­portieren können (ca. 1.700 km).

- Die Zugvogelbewegungen in China spielen sich überwiegend in Nord-Süd-Richtung ab, nicht jedoch in Ost-West-Richtung. Poyang ist Überwinterungsplatz für Vögel aus Nordost­asien und der vorwiegend östlichen Mongolei. Zugbewegungen zwischen Poyang und Qinghai sind nicht bekannt (Martin Williams per e-mail). Somit spricht auch nichts dafür, dass das Virus von Januar/März 2005 bis Mai 2005 durch Zugvögel von Poyang nach Qing­hai gebracht wurde. Ein Krankheitsausbruch in den mutmaßlichen Durchzugs- und Brutge­bieten der 6 Enten (also ca. nördlich von Poyang) ist nicht bekannt geworden. Und niemand weiß, ob die Vögel noch lange gelebt haben.

Ferner wurden in Süd-China seit 2004 51.121 Proben von gesund erscheinendem Geflü­gel (auf Märkten) genommen. 3.051 (6,0 %) wurden mit Influenza-Viren gefunden, darunter 512 (1,0 %) mit hoch hoch pathogenen H5N1.

Bei 69 in China und 52 in Indonesien, Malaysia und Vietnam sequenzierten Viren wur­den regional unterschiedliche Varianten gefunden („regionally distinct sublineages“), die die langfristige Endemie in diesen Regionen belegen. Wesentlicher Mechanismus hierfür ist die Übertragung durch Geflügel.

Eines der in Vietnam im Mai 2005 isolierten Viren war verschieden von den vorher (aber nach 2003) in Vietnam und Thailand gefundenen, aber identisch mit den in der chinesi­schen Provinz Guangxi im Mai 2005 gefundenen. Hieraus wird ein Transport durch Ge­flügel geschlussfolgert.

Die Vielfalt der Genotypen des Virus in einigen südchinesischen Provinzen spiegelt die Transportwege von Geflügel wieder.

Es wird geschlussfolgert, dass der beste Weg um die Seuche zu bekämpfen darin liegt, Maßnahmen an der Quelle anzusetzen, am gehaltenen Geflügel. Frühe Erkennung und umfassendes Schlachten der betroffenen Tiere war in Süd-Korea, Japan und Hongkong erfolgreich.

- Die Ausbildung von Endemismen spricht gegen die These der Verbreitung von H5N1 durch Zugvögel. Die verschiedenen regionalen Varianten („sublineages“) in Südchina werden als Nachweis für einen anhaltenden Endemismus gesehen. Es ist auch wenig plausibel, dass neue Regionalvarianten durch Zugvögel induziert werden. Dieses scheinen die Autoren selbst erkannt zu haben, da sie die Vielfalt der in den Tierhaltungen vorgefundenen Genoty­pen und Varianten („sublineages“) als Ergebnis der Transporte von Geflügel zwischen den Provinzen ansehen. Bemerkenswert ist die hohe Durchseuchung des Hausgeflügelbestan­des. Für Thailand wird die Erhaltung und Verbreitung des Virus auch durch frei weidende Hausenten angenommen (Gilbert 2006).

Die Arbeit von Chen et al. wird als Beleg für die Ausbreitungsmöglichkeit des Virus im Freiland durch Wildvögel gewertet. In der Tat verstärkt sie aber die Zweifel an dieser These.

Zwei weitere Untersuchungen beinhalten Aussagen zur Übertragungsfähigkeit der HPAI durch Stockenten (Hulse-Post et al. 2005, Sturm-Ramirez et al. 2005). Diese sind jedoch im Labor durchgeführt worden, was mit Freilandbedingungen nicht vergleichbar ist (v.a. physiologische Belastung der Wildvögel). Übrigens wird aus diesen Arbeiten gerne zitiert, dass Enten das Virus bis zum 17. Tag nach der Infektion ausscheiden können, was eine Verdoppelung bis Verdreifa­chung bisher ermittelter Werte bedeutet. Die Autoren sagen selber, dass dies offenbar darauf zurückzuführen ist, dass die Enten mit einem Gemisch an Viren infiziert wurden. Und während sich der Organismus zunächst mit dem häufigsten Virus auseinandersetzt, kann ein anderer Virustyp nach Tagen die Oberhand gewinnen und so zu einem verzögerten Infektionsverlauf führen. Im Freiland wäre hingegen von der Infektion mit einem Virentyp auszugehen, weshalb der Krankheitsverlauf dort wesentlich schneller sein müsste.

Die Arbeit von Kou et al. (2005) weist verschiedene H5N1-Viren in Feldsperlingen nach. Diese sind in Südchina Standvögel und können daher kaum in die Übertragungswege eingreifen.

Was bleibt noch an der Vermutung, Zugvögel transportieren das Virus über große Entfernun­gen? Nicht viel, sie ist nach wie vor äußerst unwahrscheinlich. Es ist bis jetzt keine Vogelart nachgewiesen worden, die das Virus transportiert, ohne selber daran zu erkranken. Wenn es zu einem Krankheitsausbruch im Freiland kommt, sterben die Vögel innerhalb kurzer Zeit. Wobei über den Anteil der infizierten, aber nicht erkrankten Vögel offenbar (noch) keine Aussage ge­troffen werden kann. Dem Virus fällt es scheinbar schwer, im Freiland in einen Vogelorganis­mus einzudringen, denn der Anteil der erkrankten Vögel an den insgesamt in dem jeweiligen Gebiet vorhandenen Vögeln ist meist recht gering. Das Virus verschwindet jedoch so oder so. Folgeausbrüche nach mehreren Wochen oder Monaten sind noch nicht beschrieben worden.

Die völlig mangelhafte Übereinstimmung der Ausbreitungswege von HPAI von Asien nach Eu­ropa (und Afrika) und dem Vogelzug hat Johann Mooij (per e-mail) detailliert dargelegt.

Dies und auch weitere Fragen lassen die These von (nicht selbst erkrankenden) Zugvögeln („Kaskaden-Enten“) als Vektoren noch unwahrscheinlicher werden:

- Warum kommt es nie zu Folgeausbrüchen? Wenn das Virus in einer Wildvogelpopula­tion überleben sollte, müssten diese auftreten.

- Warum gibt es entlang der Zugwege des potenziellen Fernüberträgers keine Krankheits­ausbrüche? Ganze Streumuster von Kranheitsausbrüchen wären zu erwarten.

- Warum werden im Freiland keine Träger des Virus festgestellt (bis auf die 6 oben genann­ten Enten, die sich vermutlich gerade infiziert hatten)? Und das bei mittlerweile weit über 100.000 getesteten Proben (Martin Williams per e-mail).

- Warum wurden dort, wo die Zugvögel aus Asien tatsächlich zu Millionen hinfliegen, den ganzen Winter über keine Ausbrüche im Freiland festgestellt?

Im Ergebnis hat uns die ganze Diskussion über Zugvögel als mögliche Ausbreitungsvektoren der Geflügelpest bereits viel Zeit gekostet. Sie hat in der Bevölkerung eine völlig irrationale Pa­nik hervorgerufen. Sie hat zu einer negativen Haltung den Wildvögeln gegenüber geführt. Die Maßnahmen gegen den Eintrag der Seuche durch Zugvögel hat die Kleintierhaltung und die tierschutzgerechte Geflügelhaltung in die Enge gedrängt. Es ist ein Zynismus, dass die Mas­sentierhaltung, die für das Entstehen und die Ausbreitung HPAI vermutlich verantwortlich ist, nun noch dadurch profitiert, dass die Konkurrenz beseitigt wird.

Und die Beschuldigung der Zugvögel hat von den viel wahrscheinlicheren Übertragungswegen und den wichtigen Frage abgelenkt: Auf welche Weise ist das Virus in die Landschaft einge­bracht worden? Welche Transporte von Geflügel- oder Geflügelprodukten sind hierfür verant­wortlich? Die Beschlagnahme von 55 Tonnen Geflügelfleisch aus China in Antwerpen Mitte Ja­nuar ist nur ein Schlaglicht auf mögliche Handelswege (weitere Hinweise zur möglichen Verbreitung durch Aquakulturen auch nach Europa siehe Feare 2006).

Klemens Steiof

Chen, H. et al. (2006): Establishment of multiple sublineages of H5N1 influenza virus in Asia: Implications for pandemic control. – PNAS 103 (8): 2845-2850. www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.0511120103

Feare, C.J. (2006): Fish farming and the risk of spread of avian influenza. www.birdlife.org/action/science/species/avian_flu/index.html

Gilbert, M. (2006): Free-grazing Ducks and Highly Pathogenic Avian Influenza, Thailand. – Emerging Infectious Diseases 12 (2): 227-234. www.cdc.gov/eid

Hulse-Post, D.J. (2005): Role of deomestic ducks in the propagation and biological evolution of highly pathogenic H5N1 influenza viruses in Asia. – PNAS 102 (30): 10682-10687. www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.0504662102

Kou, Z. et al. (2005): New Genotype of Avian Influenza H5N1 Viruses Isolated from Tree Sparrows in China. – Journal of Virology, Dec. 2005: 15460-15466.

Spiegel online (9.3.2006): Zugvögel greaten starker unter Verdacht. www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,405172,00.html

Sturm-Ramirez, K.M. (2005): Are Ducks Contributing to the Endemicity of Highly Pathogenic H5N1 Influenza Virus in Asia? – Journal of Virology, Sept. 2005: 11269-11279.